Darf die Polizei den Finger eines Beschuldigten gegen dessen Willen auf den Sensor eines Smartphones legen, um darauf gespeicherte Daten zu sichern? Mit dieser Frage befasste sich der Bundesgerichtshof im Beschluss vom 13. März 2025 (Az. 2 StR 232/24). Der Fall betrifft einen Mann, bei dem während einer Durchsuchung zwei Mobiltelefone gefunden und durch Auflegen seines Fingers entsperrt wurden. Die Ermittler fanden daraufhin Bilder, die später eine Rolle bei der Verurteilung spielten. In diesem Artikel der Kanzlei Gronemeyer aus Essen erfahren Sie, was passiert ist, wie der BGH die zwangsweise Entsperrung mit dem Finger rechtlich einordnet und welche Folgen die Entscheidung für Betroffene haben kann.
Vom Berufsverbot zum Babysitten und zwei Smartphones
Der Angeklagte war bis 2017 als Erzieher tätig. Nachdem er in seiner Arbeitssituation heimlich den Intimbereich eines zweijährigen Mädchens gefilmt hatte, wurden bei einer Durchsuchung 2017 zahlreiche kinderpornografische Dateien gefunden. Das Landgericht München I verurteilte ihn 2019 zu einer Bewährungsstrafe und verhängte zudem ein lebenslanges Berufsverbot für Tätigkeiten als Erzieher, Betreuer und in verwandten Berufen. Ein Berufsverbot bedeutet, dass eine bestimmte Tätigkeit dauerhaft oder für einen bestimmten Zeitraum nicht ausgeübt werden darf.
Trotz dieses Berufsverbots entschloss sich der Mann im Jahr 2020, während der Corona Schließungen von Kindertagesstätten, als privater Babysitter zu arbeiten. Er meldete sich über Online-Portale auf Inserate von Eltern und betreute bis März 2021 insgesamt acht Familien. Für diese Einsätze erhielt er insgesamt 2.189,50 Euro. Diese Tätigkeit stellte den Kern des späteren Vorwurfs dar, denn sie stand im klaren Widerspruch zum bestehenden Berufsverbot.
Bei einem Betreuungstermin in einer Familie fertigte der Mann Bilder von zwei kleinen Mädchen an. Diese zeigten die Kinder teilweise unbekleidet. Eine Serie von Aufnahmen war so fotografiert, dass der Blick zwischen die Beine des Kindes gerichtet war. Einige der Bilder speicherte der Mann auf zwei Smartphones, einem LG G5 SE und einem Google Pixel 4a. Daneben gab es weitere Datenträger im Haushalt, darunter eine Festplatte des Herstellers Seagate mit bereits früher gesicherten Dateien sowie einen Tower-PC, auf dem sich Fotos eines Jungen mit Verkleidung fanden. Diese weiteren Dateien spielten später eine eigene Rolle in der rechtlichen Bewertung.
Am 11. März 2021 ordnete das Amtsgericht Köln eine Durchsuchung der Wohnräume und der Person des Mannes an. Ein Durchsuchungsbeschluss ist eine richterliche Anordnung, mit der die Ermittler gezielt nach Beweismitteln suchen dürfen. In diesem Beschluss war ausdrücklich festgehalten, dass auch Mobiltelefone als Beweismittel in Betracht kommen, weil die Anbahnung der Babysittereinsätze über Online-Portale erfolgt sein soll. Am 12. März 2021 führten Polizeibeamte die Durchsuchung durch und fanden zwei Smartphones. Der Mann verweigerte die freiwillige Entsperrung.
Daraufhin ordnete ein Polizeibeamter an, den rechten Zeigefinger des Mannes mittels unmittelbaren Zwangs auf die Fingerabdrucksensoren der Geräte zu legen und die Geräte entsperrten sich. Ein Datensicherer, der bei der Durchsuchung anwesend war, übernahm die Geräte in entsperrtem Zustand. Bei der späteren Auswertung wurden Dateien gefunden, die für die neue Anklage wichtig wurden. In der Hauptverhandlung widersprach die Verteidigung der Verwertung dieser Daten. Sie argumentierte, es fehle eine taugliche Rechtsgrundlage für das zwangsweise Entsperren, außerdem sei die Selbstbelastungsfreiheit verletzt und der Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung gehe zu weit.
Neben der Frage der Entsperrung standen weitere Punkte im Raum. Zum einen ging es um mögliche Überschneidungen mit der früheren Verurteilung aus München. Wenn identisches Material bereits Gegenstand eines früheren Verfahrens war, kann Strafklageverbrauch vorliegen. Das bedeutet, dass wegen derselben Tat nicht erneut verurteilt werden darf. Zum anderen stellte sich die Frage, ob bestimmte Bilder, etwa die Fotos des Jungen auf dem PC, die strafrechtliche Schwelle zur Kinderpornografie überhaupt überschreiten.
Der BGH zur Entsperrung mit dem Finger und zu den Schuldsprüchen
Der Bundesgerichtshof beurteilte die zwangsweise Entsperrung der Smartphones als rechtlich zulässig. Nach seiner Auffassung kann das Auflegen des Fingers eines Beschuldigten auf den Sensor des Smartphones als ähnliche Maßnahme zur Feststellung körperlicher Merkmale angesehen werden. Grundlage sei die Vorschrift über erkennungsdienstliche Maßnahmen, die nach dem Gesetz auch Maßnahmen zur Durchführung des Strafverfahrens umfasst. Wichtig ist der zusätzliche Rahmen durch die Regeln zur Sicherstellung und Durchsicht von Datenträgern. Denn die Entsperrung ist nur der erste Schritt, der Zugriff auf die Inhalte richtet sich dann nach den allgemeinen Vorschriften über die Sicherstellung und Durchsicht von Daten.
Der BGH betonte, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung handelt. Ein Smartphone enthält erfahrungsgemäß sehr persönliche Informationen. Gleichwohl ist ein solcher Eingriff nicht generell verboten. Entscheidend sind ein zuvor erlassener richterlicher Durchsuchungsbeschluss, der Mobiltelefone als Beweismittel in den Blick nimmt, und die Verhältnismäßigkeit im Einzelfall. Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass Gewicht und Verdachtsgrad der Straftat sowie die zu erwartende Beweisbedeutung der Daten gegen die Eingriffsintensität abgewogen werden. Der BGH knüpft damit auch an europäische Datenschutzvorgaben an, die eine vorherige gerichtliche Kontrolle verlangen. Diese Kontrolle sah der BGH durch den Durchsuchungsbeschluss als erfüllt an.
Die Selbstbelastungsfreiheit war nach Ansicht des Gerichts nicht betroffen. Diese schützt vor aktiver Mitwirkung an der eigenen Überführung, nicht aber davor, eine Maßnahme zu dulden. Das passive Auflegen des Fingers wurde als Duldung eingestuft. Ein besonderes, die Verwertung hinderndes Fehlverhalten der Ermittler erkannte der BGH nicht. Selbst für den hypothetischen Fall, dass man die Ermächtigungsgrundlage anders sähe, folge aus dem Entsperrvorgang kein zwingendes Beweisverwertungsverbot. Denn die Durchsicht und Sicherstellung der Daten selbst konnten auf die allgemeinen Vorschriften gestützt werden, und ein gravierender Rechtsverstoß war nicht ersichtlich.
Neben der Frage der Entsperrung befasste sich der BGH ausführlich mit dem Schuldspruch. Die verschiedenen Babysittereinsätze trotz Berufsverbot wurden als eine einheitliche Tat gewertet. Das spätere Herstellen kinderpornografischer Bilder im Rahmen einer Betreuung führte nicht zu einer getrennten Tat, sondern stand in Tateinheit mit dem Verstoß gegen das Berufsverbot. Der Schuldspruch wurde daher dahin geändert, dass eine einheitliche Tat vorliegt, nämlich ein Verstoß gegen das Berufsverbot in Tateinheit mit Herstellen kinderpornografischer Schriften.
Im Hinblick auf weitere Datenbestände hob der BGH einen Teil der Entscheidung auf und verwies zurück. Es war aus den Akten nicht auszuschließen, dass bestimmte Dateien auf der Festplatte bereits Gegenstand der früheren Verurteilung in München waren. Hier muss das Landgericht prüfen, ob Strafklageverbrauch vorliegt. Zudem stellte der BGH klar, dass die Fotos des Jungen auf dem PC des Angeklagten die Schwelle zur Kinderpornografie nach dem geltenden Maßstab nicht überschreiten. In diesem Punkt trugen die Bilder die Verurteilung nicht. Damit zeigt der Beschluss, dass der BGH nicht nur die Ermittlungsmaßnahmen bewertet, sondern auch die Grenzen strafbarer Inhalte präzise zieht.
Was bedeutet das für Beschuldigte mit biometrisch gesicherten Handys
Die Entscheidung macht deutlich, dass Ermittler ein biometrisch gesichertes Smartphone mit dem Finger des Beschuldigten entsperren dürfen, wenn ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss vorliegt, der Mobiltelefone als Beweismittel umfasst, und die Maßnahme im Einzelfall verhältnismäßig ist. Das ist rechtlich relevant für viele Verfahren, in denen Kommunikation über Smartphone und Apps eine Rolle spielt. Die Selbstbelastungsfreiheit schützt nicht vor der Duldung einer solchen Maßnahme. Für Betroffene ist wichtig, den Durchsuchungsbeschluss genau prüfen zu lassen und in der Untersuchung auf eine Beschränkung der Auswertung auf verfahrensrelevante Daten zu drängen. Ob andere biometrische Verfahren wie Gesichtserkennung ähnlich behandelt werden, hat der BGH nicht entschieden, denkbar ist aber eine vergleichbare Bewertung. Wenn Sie von einer Durchsuchung oder Datenauswertung betroffen sind, sollten Sie frühzeitig anwaltliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Die Kanzlei Gronemeyer berät Sie dazu, wie Sie Ihre Rechte wahren und welche Einwände im konkreten Verfahren sinnvoll sind.
Dieser Blog-Artikel dient ausschließlich zu Informationszwecken und ersetzt keine Rechtsberatung. Für konkrete Fragen oder Anliegen wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 13. März 2025 Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.