Lesen Sie in diesem Blogartikel der Kanzlei Gronemeyer aus Essen über die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur Verurteilung einer ehemaligen Zivilangestellten des KZ Stutthof vom 20. August 2024 (Az.: 5 StR 326/23). Dieses Urteil wirft ein Licht auf die Rolle von Zivilangestellten in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern und deren Beitrag zu den dort begangenen Verbrechen.
Hintergrund des Urteils
Die Angeklagte war im Tatzeitraum von 1943 bis 1945 als einzige Stenotypistin in der Kommandantur des Konzentrationslagers Stutthof beschäftigt. Sie war damals 18 und 19 Jahre alt und ihre Hauptaufgabe bestand darin, Schreibarbeiten für den Lagerkommandanten und dessen Adjutanten zu erledigen. In erster Instanz kam das Landgericht Itzehoe zu dem Schluss, dass ihre Arbeit wesentlich zur Organisation und Durchführung der systematischen Tötungen im Lager beitrug.
Die Angeklagte unterstützte die Haupttäter, indem sie administrative Aufgaben übernahm, die für die Durchführung der im KZ begangenen Verbrechen notwendig waren. Dazu gehörten unter anderem die Dokumentation von Vergasungen und lebensfeindlicher Bedingungen im Lager, die Organisation von Transporten in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau und das Schicken von Gefangenen auf sogenannte Todesmärsche. Die Angeklagte half den Haupttätern nicht nur physisch, sondern auch psychisch, indem sie den Lagerbetrieb als zuverlässige und gehorsame Untergebene unterstützte.
Eine zentrale Frage in diesem Fall war, ob die Angeklagte positive Kenntnis von den Verbrechen hatte und ob ihre Handlungen als Beihilfe zum Mord gewertet werden können. Das Landgericht Itzehoe stellte fest, dass die Angeklagte sehr wohl wusste, dass ihre Arbeit zur Durchführung der Morde beitrug. Sie arbeitete vertrauensvoll mit den Haupttätern zusammen und unterstützte sie durch ihre Dienste, wodurch ihr Tun jeglichen „Alltagscharakter“ verlor.
Bundesgerichtshof entscheidet: Welche Faktoren spielten die zentrale Rolle?
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Itzehoe und verwarf die Revision der Angeklagten. Dabei stützte sich das Gericht auf seine neuere Rechtsprechung zu Beihilfehandlungen im Zusammenhang mit staatlich organisierten Massenverbrechen. In solchen Fällen sind oft viele Personen in verschiedenen Positionen beteiligt, ohne dass sie selbst eine Tötungshandlung ausführen. Dennoch tragen sie durch ihre Handlungen zur Durchführung der Verbrechen bei.
Der Bundesgerichtshof stellte fest, dass die Angeklagte durch ihre Schreibarbeiten die Tathandlungen der Haupttäter förderte. Ihre Tätigkeit war für den bürokratisch organisierten Lagerbetrieb von zentraler Bedeutung. Auch wenn einzelne Schreiben möglicherweise von anderen erstellt worden sein könnten, änderte dies nichts an ihrer zentralen Rolle im Lagerbetrieb.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entscheidung war die Frage, ob die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Straffreiheit von berufstypisch neutralen Handlungen mit „Alltagscharakter“ auf diesen Fall anwendbar sind. Der Bundesgerichtshof entschied, dass dies nicht der Fall ist, da die Angeklagte positive Kenntnis von den verbrecherischen Handlungen der Haupttäter hatte und sich durch ihre Dienste mit ihnen solidarisierte. Dadurch verlor ihre Tätigkeit jeglichen „Alltagscharakter“ und wurde zur Beihilfe zum Mord.
Fazit
Dieses Urteil zeigt, dass auch scheinbar „neutrale“ Tätigkeiten in einem verbrecherischen System strafrechtliche Konsequenzen haben können, wenn sie zur Durchführung von Verbrechen beitragen. Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs unterstreicht die Bedeutung der individuellen Verantwortung und die Notwendigkeit, auch die Rolle von Zivilangestellten in solchen Systemen kritisch zu hinterfragen.
Rechtsanwältin Gronemeyer aus Essen steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Unsere Kanzlei kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Strafrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.
Dieser Blogartikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn Sie spezifische Fragen oder Anliegen haben, wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 20. August 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichts.