Am 21. November 2022 entschied das Amtsgericht Freiburg über den Fall eines 32-jährigen Klimaaktivisten, der sich an mehreren Straßenblockaden beteiligt hatte. Diese Entscheidung wurde jedoch vom Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe am 20. Februar 2024 aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen (Aktenzeichen: 2 ORs 35 Ss 120/23). In diesem Blogartikel beleuchtet die Kanzlei Gronemeyer dieses strafrechtliche Urteil und dessen Folgen für die rechtliche Bewertung von Protestaktionen.
Details zu den Straßenblockaden und deren Zweck
Der Angeklagte, ein Aktivist des Aktionsbündnisses „Aufstand Letzte Generation” aus Freiburg, beteiligte sich im Februar 2022 an drei Straßenblockaden, die nicht angemeldet oder angekündigt wurden. Der Aktivist und seine Mitstreiter setzten sich auf die Fahrbahn und klebten sich teilweise mit Sekundenkleber fest. Ziel dieser Aktionen war es, auf die Problematik der Lebensmittelverschwendung und den Klimaschutz aufmerksam zu machen. Sie forderten unter anderem ein Gesetz, das große Supermärkte verpflichtet, genießbare Lebensmittel weiterzuverteilen, anstatt sie wegzuwerfen. Zudem setzten sie sich für eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen ein.
Die drei Verkehrsblockaden am 07., 11. und 15. Februar führten jeweils zu teils erheblichen Verkehrsbeeinträchtigungen und Verzögerungen. Während der Blockaden versuchte ein „Deeskalationsteam” des Aktionsbündnisses, mit den Autofahrern ins Gespräch zu kommen und Flyer zu verteilen. Den polizeilichen Aufforderungen zur Räumung der Fahrbahn leistete der Angeklagte keine Folge und wurde von der Polizei weggetragen.
Entscheidung über Revision und neue Abwägungskriterien
Das Amtsgericht Freiburg sprach den Angeklagten in erster Instanz vom Vorwurf der Nötigung frei. Das Gericht erkannte zwar an, dass der Tatbestand der Nötigung gemäß § 240 Abs. 1 StGB erfüllt sei, verneinte jedoch die Verwerflichkeit der Taten gemäß § 240 Abs. 2 StGB. Dahinter stand die Erwägung, dass die Aktionen des Angeklagten nicht sozialwidrig seien und somit nicht die erforderliche Verwerflichkeit für eine Strafbarkeit wegen Nötigung aufwiesen.
Die Staatsanwaltschaft legte gegen dieses Urteil Revision ein und das OLG Karlsruhe hob das Urteil auf. Das Oberlandesgericht stellte fest, dass das Amtsgericht nicht alle für die Abwägung der Verwerflichkeit maßgeblichen Umstände hinreichend berücksichtigt habe. Insbesondere fehlten konkrete Feststellungen zur Dauer der Blockaden und den dadurch verursachten Verkehrsbeeinträchtigungen. Auch die Frage nach möglichen Ausweichrouten für die betroffenen Verkehrsteilnehmer wurde nicht ausreichend geklärt.
Das Oberlandesgericht Karlsruhe betonte, dass der Begriff der Verwerflichkeit nicht als moralisches Werturteil zu verstehen sei, sondern als sozialwidriges Verhalten. Bei der Beurteilung der Verwerflichkeit müsse eine Abwägung aller wesentlichen Umstände und Beziehungen vorgenommen werden. Dazu gehören die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, etwaige Ausweichmöglichkeiten sowie der Sachbezug zwischen den in ihrer Fortbewegungsfreiheit beeinträchtigten Personen und dem Protestgegenstand.
Das Gericht schlussfolgerte, dass die Verneinung der Verwerflichkeit eher fern liege, wenn eine unangekündigte Blockade einer Hauptverkehrsstraße über einen nicht unerheblichen Zeitraum hinaus zu einem erheblichen Rückstau und einer erheblichen Zeitverzögerung für die betroffenen Personen führe. Dies sei insbesondere dann der Fall, wenn der Bezug der blockierten Personen zu den verfolgten Zielen der Aktion nur teilweise gegeben sei.
Das Verfahren wurde zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Freiburg zurückverwiesen. Das Amtsgericht hat nun die fehlenden Feststellungen nachzuholen und eine neue Abwägung der Verwerflichkeit vorzunehmen.
Fazit
Dieser Fall zeigt, wie komplex die rechtliche Beurteilung von Protestaktionen im Rahmen des Nötigungstatbestandes sein kann und welche Bedeutung eine sorgfältige Abwägung aller Umstände hat. Für betroffene Personen ist es wichtig zu wissen, dass die Gerichte eine detaillierte Prüfung vornehmen müssen, um die Verwerflichkeit einer Handlung festzustellen.
Rechtsanwältin Gronemeyer aus Essen steht Ihnen gerne für eine persönliche Beratung zur Verfügung. Unsere Kanzlei kann Ihnen helfen, die Auswirkungen dieser Entscheidung aus dem Strafrecht zu verstehen und Sie bei rechtlichen Fragen unterstützen.
Dieser Blog-Artikel dient nur zu Informationszwecken und stellt keine Rechtsberatung dar. Wenn Sie spezifische Fragen oder Anliegen haben, wenden Sie sich bitte an einen qualifizierten Rechtsanwalt.
Quelle der Entscheidung: Entscheidung des Oberlandesgerichts vom 20. Februar 2024, oder: Direktlink zur Entscheidung des Gerichtes.